Grytviken & King Edward Point

20170202 – S 54° 17.184’ W 36° 28.860’ – M134

Begrüßungskomitee für die Meteor.

„Dieser Ort sollte als Gedenkstätte für die Wale erhalten und ausgebaut werden“ meint Thies Matzen – Segler, Bootsbauer und zur Zeit Restaurator der Fenster in der Grytvikener Kirche. 

Grytviken wurde 1904 von einem Norweger gegründet und diente mehr als 50 Jahre lang als industrielle Basis für den Walfang und Walverarbeitung. Meeressäuger, zu denen die Wale gehören, müssen sich besonders vor Unterkühlung schützen. Durch die hohe Wärmeleitfähigkeit des Wassers wird die Körperwärme schneller abtransportiert als bei an Land lebenden Säugetieren. Deshalb haben Wale eine dicke Schicht aus fetthaltigem Gewebe, Blubber genannt. Aus diesem Blubber kann man durch Erhitzen, Auspressen, Ausschmelzen oder Ausklopfen Öl gewinnen, den Tran. Tran war der erste in größeren Mengen verfügbare flüssige Brennstoff und wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem als Lampenöl verwendet, diente aber auch als Grundlage zur Herstellung von Margarine, Kerzen und Seife. Als Schmierstoff fand Waltran sogar noch bis in die 1950er Jahre Verwendung. Die intensive Bejagung der Walbestände – in den 1930er Jahren wurden über 30000 Tiere und in den 1940er Jahren sogar über 40000 Wale jährlich getötet – führte zu einem massiven Einbrechen der Bestände.Seit 1948 gibt es das „Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs“. Zu einem wirklichen Umdenken kam es aber erst Ende der 1960er Jahre. Damals erschien die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des „Club of Rome“, welcher sich für eine nachhaltige Entwicklung und den Schutz von Ökosystemen ein einsetzt. 

Die Überbleibsel der Walfängerei liegen hier überall rum.

Für die Wale war es fast schon zu spät, doch deren Schicksal ist exemplarisch für den Raubbau des Menschen an der Natur:

„Die Geschichte des Walfangs zeigt in einem kleinen Bereich, was dabei herauskommt, wenn ein begrenzter Lebensraum immer stärker ausgebeutet wird. Die Walfänger haben einen Grenzwert nach dem andern erreicht und stets versucht, diese Begrenzungen durch den Einsatz noch größerer technologischer Hilfsmittel zu durchbrechen. Sie haben eine Walart nach der anderen ausgerottet. Das Endergebnis dieser Haltung, die Wachstum um jeden Preis verlangt, kann nur die totale Ausrottung aller Walarten und der Walfänger selbst sein.“ 

(Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums, 1972, S. 137)

Thies Matzen erzählte uns viel über die Geschichte Grytvikens. Er und seine Frau Kiki versuchen jedes Jahr für einige Wochen hierher zu kommen. Meist reisen sie mit dem eigenen Segelboot an, der „Wanderer III“, einem neun Meter langen Holzboot. Diesmal ist er aber allein hier – ohne Schiff und ohne Frau. Man hat den Bootsbauer beauftragt, die Fenster der Kirche zu restaurieren. Ein angenehmer Job, aber er wird diese Saison wohl nicht fertig. Also kommt er nächstes Jahr wieder und setzt seine Arbeit fort. Dann aber mit Boot und Frau – nur so kann er sich hier am Ende der Welt zu Hause fühlen. Das „Landleben“ scheint ihm jedenfalls nicht so zu behagen. 

Thies Matzen zeigt uns das Materiallager der Walfängerstation – er ist für eine Weile hier in Grytviken und restauriert die Fenster der alten norwegischen Kirche.

Gemeinsam waren wir in einer der alten Lagerhallen der Walfangstation. In penibel beschrifteten riesigen Holzregalen lagern dort auch jetzt noch alte Ersatzteile, Harpunenspitzen und vieles mehr. Die meisten der Hallen sind schon abgerissen. Auch das Kino gibt es nicht mehr. Die großen Blubber-Öfen und Tanks, an Land gesetzte rostige Walfängerboote und die Reste der Walfabrik bestimmen aber noch immer das Panorama der Bucht von Grytviken.

Hier wurde alles inventarisiert – das Materiallager der Walfängerstation.

Schuppen der Walfängerstation.

Harpunenspitzen im alten Lager der Station.

Leider war der Tag viel zu kurz. Am Vormittag war ich mit einer Gruppe Wissenschaftler am nahe der Station gelegenen Stausee unterwegs. Dort sollten Proben genommen werden und ich wurde gebeten, dies fotografisch zu begleiten. Vorbei an aggressiven Seehunden und friedlichen Pinguinen machten wir uns auf den Weg zu Ernest Shakletons Grab am Rande der Siedlung und stiegen von dort weiter hinauf zum See, welcher von einem herrlichen Bergpanorama umgeben ist. Nach der Probennahme musste dann der Wagen mit ungefähr 85 Litern Wasser den steilen Bergpfad hinunter zur Anlegestelle bugsiert werden. Keine leichte Aufgabe.

Um die Mittagszeit trafen wir dann Thies. Eher zufällig. Über Funk hörten wir, dass hier ein deutscher Restaurator herum liefe und sich über eine Kiste gutes Bier freuen würde. Dass es der Buchautor Thies Matzen war stellte sich erst später heraus. Also wurden mit dem als Landungsboot eingesetzten Rettungsboot zwei Kisten Bier an Land geschickt und wir konnten dem Weltenbummler eine kleine Freude bereiten. Für den Besuch des Museums, der Post, der Kirche und dem nahe gelegenen King Edward Point mit seiner Forschungsstation blieb kaum noch Zeit. 

Etwas wehmütig schaue ich zurück, als wir am späten Nachmittag mit dem Rettungsboot wieder zur Meteor fuhren. Ich würde hier gern mehr Zeit verbringen. Die Natur rund um Grytviken scheint sich so langsam wieder vom Einfluß des Menschen zu erholen – nur Wale haben wir schon seit längerem nicht mehr gesehen…

CR

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Pinguinfüße…