Sturmschäden

20200514 – 83° 23.64’ N 09° 55.26’ E – MOSAiC Leg 3

Schon vor dem Sturm gerät alles in Bewegung. das alte Lead in der LogArea öffnet sich wieder, ein weiteres trennt die Hütte von RemoteSensing (links im Bild) vom Central Observatory.

Gestern Mittag ging es los. Nicht der Sturm, der sollte erst in der Nacht zu heute beginnen. Aber unsere Driftrichtung änderte sich schlagartig. In den letzten Tagen drifteten wir südwärts, jetzt haben wir Westkurs. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkung auf das fragile System der frisch zusammen gefrorenen Einzelteile unserer Forschungsscholle. In kürzester Zeit brachen alte Leads wieder auf, verschoben sich Teile der Scholle auf nicht vorhersehbare Weise. Die kürzlich gerettete Hütte von RemoteSensing befindet sich jetzt erneut auf einer eigenen Scholle, unerreichbar für jegliche Rettungsmaßnahmen. Aber das eigentliche Chaos sollte erst folgen. Mit dem Sturm, der sich in den Abendstunden langsam entwickelte.

Während des Sturms sucht eine Schneeammer ein windgeschütztes Fleckchen auf der Polarstern.

Planung (orange) und Wirklichkeit (blau) stimmen fast überein.

Ein klein wenig zeitiger als geplant nahm die Windstärke schon vor Mitternacht Bordzeit bis auf BFT 9 zu. Bis dahin hatte man noch relativ gute Sicht auf das Geschehen auf der Scholle. Wir konnten im Laufe des Abends noch die Hütte von RemoteSensing in Richtung ROVCity wandern sehen. Nach Mitternacht nahm der Sturm weiter zu, bis er am frühen Morgen seine höchste Windgeschwindigkeit mit 25,1 m/s erreichte, das ist Windstärke 10! White Out verhinderte die Sicht auf die Scholle weitgehend, die Reste von MetCity und Ballontown, etwas weiter entfernt vom Schiff, waren nicht mehr zu erkennen. Erst am Vormittag, der Sturm hatte immer noch Bft 9, hatte man wieder einigermaßen Übersicht über die Lage auf der Scholle. Allerdings konnte man spätestens ab jetzt kaum noch von einer Scholle reden – vielmehr handelt es sich nun um eine Vielzahl von Schollen. MetCity hatte sich weit um die eigene Achse gedreht, Remote Sensing erreichte in dem vor ein paar Tagen schon aufgebrochenen Lead in der Logistigarea fast das Materiallager, welches nun ebenfalls auf mehrere Einzelschollen verteilt war. Gleich hinter Ballontown plätscherte das Wasser, ebenso nahe ROVCity. Einzig OceanCity war noch einigermaßen sicher. Gegen Mittag konnte man dann zuschauen, wie das Zelt von ROVCity von einem Ridge „aufgefressen“ wurde und einfach in den Eismassen verschwand. Kurze Zeit später beruhigte sich der Sturm, am späten Nachmittag war es mit einer Windstärke 7 fast schon wieder ruhig.

Der Beobachtungsturm wurde von den neu gebildeten Ridges nur knapp verfehlt.

Die Hütte von RemoteSensing steht jetzt auf einer Minischolle und kann nicht mehr so ohne weiteres geborgen werden.

Die LogArea – ein Trümmerfeld.

Das Ausmaß der Schäden ist immens. Zeit für eine Planänderung. Wieder mal, doch nicht zu vermeiden, denn die Ereignisse haben gezeigt, dass nichts auf der Scholle sicher ist, wenn der nächste Sturm folgt. Hat man bisher vor allem teure Geräte von der Scholle auf das Schiff geborgen, soll nun auch der Rest an Bord. Zelte vor allem und einige hundert Meter Kabel. Das ist mehr Aufwand als geplant und es wird in Erwägung gezogen, einen Tag länger an der Scholle zu bleiben. Außerdem können wir die Helikopter nicht mehr einsetzen – das Helideck wurde ja zum Parkplatz umfunktioniert. Vor allem für die Bergung der Hütte von RemoteSensing stellt dies ein Problem dar. Sie ist mit Schlitten nicht mehr zum Schiff zu transportieren, also muss das Schiff zur Hütte. Im Moment wühlen wir uns also mit der Polarstern durch die Reste der Scholle, schlagen einen großen Bogen, vorbei an MetCity auf die andere Seite der Logistikarea. Von dort sollen dann die Hütte und der Rest des Equipments an Bord genommen werden. Trotzdem soll es spätestens am Sonntag gen Spitzbergen losgehen.

Das Helideck wurde zum Parkplatz für Pistenbullies, Skidoos und Schlitten umfunktioniert. Alles, was Dreck macht, musste vor dem Sturm vom Eis.

Die Fahrt auf die andere Seite der Logistikarea macht klar, dass es nicht einfach werden wird auf unserer Rückfahrt. Schon seit Stunden kämpfen wir gegen das Eis an. Die wenigen 100 Meter, die zurückgelegt werden müssen, haben es in sich. Der Plan für die beiden anderen Schiffe hat sich nicht geändert. FS Sonne und FS Merian werden am Montag von Bremerhaven starten und am darauffolgenden Samstag in Spitzbergen erwartet. Bis dahin sollten wir unseren Weg durch das Eis gefunden haben, sonst ändern sich die Pläne erneut. Diesmal wäre aber unsere Ankunft in Bremerhaven gefährdet, was so gut wie niemand an Bord gut finden würde….

CR

Nach dem Sturm – alles hat sich nach Westen verschoben, die Scholle ist ein Trümmerfeld.