20210319 – 70°30’4.212″ S 8°11’19.212″ W – PS124
Planänderung. Wir fuhren nun doch nicht nach 66° S auf dem Nullmeridian. Das Wetterfenster hätte zwar gut gepasst, um die geplante Verankerung dort auszubringen. Aber auch für unsere Operationen bei Neumayer bedarf es einer günstigen Wetterlage. Für die Verladearbeiten können wir keinen starken Wind gebrauchen. Auch macht uns das Eis in der Atkabucht Sorgen, denn bei stetigem Ostwind verschlechtert sich dort erfahrungsgemäß die Eislage. Man kommt einfach nicht mehr an den Anleger. Außerdem steht der Winter vor der Tür und wenn die Atkabucht in dieser Jahreszeit mit dichtem Eis versperrt ist, wird sich das bis zum Frühjahr kaum ändern. Auch ein Eisbrecher wie die Polarstern schafft es dann nicht mehr an die Schelfeiskante. Also ließen wir die Station auf dem Nullmeridian erstmal sausen und und fuhren vom Weddellmeer direkt nach Neumayer.
Vorgestern kurz vor Mittag kam die Schelfeiskante in Sicht. Doch die letzte Meile hatte es in sich. Mühselig rammten wir uns Meter für Meter durch das Eis. Erst am Nachmittag hatten wir es geschafft und lagen in einer Art kleiner Polynya an der rund 15 Meter hohen Kante des Schelfeises am sogenannten Nordanleger. Die Neumayer-Station liegt knapp zwanzig Kilometer entfernt und ist kaum auszumachen. Coronabedingt sind in diesem Jahr die sonst üblichen Besichtigungen der Station ausgesetzt. Niemand von Bord darf sich der Station nähern oder diese gar betreten. So bleibt uns nur ein Ausflug auf das Schelfeis in unmittelbarer Schiffsnähe.
Der gestrige Tag stand dann ganz im Zeichen umfangreicher Cargo-Operationen. Mit Pistenbullies wurde etliches Material von der Station an die Schelfeiskante gebracht. Auf dem Schiff musste außerdem einiges um gestaut werden, um Platz für neue Container zu schaffen. Auch die „Maja“, mit über 25 Jahren Einsatz auf Neumayer der älteste Pistenbulli der Station, wurde auf Polarstern verstaut. Material, welches in der Antarktis verbleiben soll, wurde in einer eigens dafür aufgestellten „Quarantänestation“ gelagert. In ein paar Tagen werden die neuen Überwinterer dieses dann zur Station transportieren. Alles verlief zügig und nach Plan. Bis zum Nachmittag – da kam das Meereis in Bewegung. Der schmale Spalt offenen Wassers, in welchem Polarstern lag, schloss sich langsam. Die Ladearbeiten wurden sofort gestoppt. Der letzte Container musste auf dem Eis verbleiben. Polarstern hatte schlagartig andere Prioritäten.
Steuerbords das Schelfeis, backbords das sich nähernde, massive Meereis. Auch vor der Polarstern hatte sich das Eis schnell geschlossen. Nur achteraus gab es noch ein wenig offenes Wasser. Vorsichtig manövrierte Polarstern in eine günstige Position, um das Eis voraus zu brechen. Dabei wurde sie immer wieder gegen das Schelfeis gedrückt. Fingerspitzengefühl war notwendig. Es musste einerseits genug Fahrt aufgenommen werden, um überhaupt Eis zu brechen, andererseits nicht zu viel, damit das Schiff nicht zu schwungvoll in Richtung Schelfeis gedrückt wurde. Es dauerte einige Stunden bis wir uns weit genug von der Kante des Schelfeises entfernt hatten, um in den normalen Eisrammbetrieb überzugehen. Einige Kabellängen entfernt blieben wir dann für die Nacht, denn das wichtigste fehlte noch: die Überwinterer der letzten Saison und das Sommerteam, derentwillen wir ja extra hergekommen waren.
Alle neuen Passagiere der Polarstern sollten nach Abschluss der Cargo-Arbeiten über die Schelfeiskanteauf das Schiff kommen. Das war nun nicht mehr möglich und Wissenschaftler und Techniker mussten samt Gepäck mit dem Hubschrauber von der Station an Bord gebracht werden. Das dauerte den ganzen heutigen Tag. Zum Glück spielte das Wetter mit und bis zum Abend konnte alles erledigt werden. Im Moment arbeiten wir uns weiter durch das Eis der Atkabucht in Richtung offenen Wassers. Dort wartet noch eine norwegische Verankerung auf ihre Bergung. Für die bei 66°S auf dem Nullmeridian geplante Verankerung wurde eine neue Position im nördlichen Weddellmeer gefunden, die wir im Anschluss anfahren werden. Sie liegt auf dem Weg zu den Falklands. An Bord der Polarstern ist es nun enger geworden, einige der Doppelkammern sind mit drei Personen belegt. Aber das Ende der Expedition ist ja in Sicht. Nur etwa zehn Tage bleiben noch. Die Überwinterer der letzten Saison haben vor 15 Monaten Deutschland verlassen – Corona ist für sie eine Geschichte aus einem fernen Land! An das Leben mit Maske, Lockdown und Quarantänemaßnahmen werden sie sich erst gewöhnen müssen…
CR