Tanz um das Tief

20220223 – 52°56’43.332″ S 19°51’58.5″ E – PS128

Polarsterns Tanz um das Tief.

Letztes Wochenende tauchte weit vor der südbrasilianischen Küste im zentralen Südwestatlantik ein kleines, unscheinbares Tief auf. Innerhalb kürzester Zeit nahm es seinen Weg ostsüdostwärts bis in das letzte Forschungsgebiet der Polarstern auf dem Indisch-Atlantischen Rücken und verstärkte sich dabei extrem. Ein sogenannter Schnellläufer. Das Problem bei solchen Schnellläufern ist, dass sie von den Wettermodellen nur sehr unpräzise berechnet werden können. Auf unseren Satellitenbildern meinten wir außerdem die typische Entwicklung einer sogenannten Shapiro-Keyser-Zyklone zu erkennen. Derartig klassifizierte Sturmtiefs zeichnen sich dadurch aus, dass die Warmfront des Tiefs schneller läuft als die Kaltfront, es also nie zu einer Okklusion kommt. Stattdessen dreht sich die Warmfront um den Tiefkern, die Kaltfront löst sich vom Kern und es bildet sich ein sogenannter Dryslot, ein Gebiet mit sehr trockener Luft. In unserem RGB-Satellitenbild, welches aus verschiedenen Kanälen gerechnet wird, erkennt man diese trockene Zone an der tiefblauen Färbung in den Wirbeln um das Tiefdruckgebiet. Die sich „einwickelnde“ Warmfront dringt im Verlauf der Tiefentwicklung immer weiter in dieses trockene Gebiet ein, wobei Niederschlag verdunstet und die Luft abkühlt. Durch die Abkühlung wird die Luft nach unten beschleunigt, starke Abwinde erreichen die unteren Schichten der Atmosphäre – es entsteht ein sogenannter „Sting Jet“. Die Windgeschwindigkeiten in diesem Bereich sind deutlich höher, als man aus dem tatsächlichen Druckgradienten erwarten dürfte.

Barograph der Wetterwarte. Bei der größten Annäherung an das Tief, dessen Kern nördlich der Fahrtroute der Polarstern vorbei schwenkte, verzeichnet der Barograph 961 hPa, was 959 hPa auf Meeresniveau entspricht.

Bei unserer Weiterfahrt auf dem geplanten Kurs nach Kapstadt hätten wir genau diesen Bereich des Tiefs passieren müssen. Die Modelle prognostizierten Windgeschwindigkeiten von über 75 Knoten – Windstärke 12, die höchste Kategorie in der Windstärkenskala nach Beaufort, beginnt bei 65 Knoten. Also blieb uns nichts anderes übrig, als nach Westsüdwest zu dampfen, das Tief dabei im Norden vorbeiziehen zu lassen und erst dann den Kurs auf Kapstadt wieder aufzunehmen. So tanzten wir regelrecht um das Tief. Der Luftdruck sank in kürzester Zeit auf beachtliche 959 hPa. Den Dryslot passierten wir dabei nicht – trotzdem hatten wir noch jede Menge Wind und Wellen. Aber das sind wir ja mittlerweile gewohnt. Kapstadt werden wir trotz unseres Umweges pünktlich erreichen.

CR

Ein Wanderalbatros begleitet das Schiff. Mit bis zu 3,5m Spannweite einer der größten Vögel der Welt. Vor dem Sturm segelte er majestätisch durch die Wellentäler um die Polarstern.