Wochenendausflug um den A74-Eisberg

20210315 – 74°35’38.4″ S 27°10’12“ W – PS124

Teil der neu geformten Schelfeiskante. Polarstern ist als kleiner Punkt in der linken Bildhälfte erkennbar.

Nach unserer kleinen Rettungsaktion für den Helikopter setzten wir gestern unseren Weg durch die Rinne zwischen Brunt-Eisschelf und A74-Eisberg fort. Die erste größere Arbeitsstation fand am nordöstlichen Ende des Eisberges statt. Dort hatte sich ein kleineres Stück vom Eisberg gelöst. Auf den Satellitenbildern der vergangenen Wochen konnten wir beobachten, wie dieses Teilstück durch die entstandene Rinne auf das Weddellmeer hinaus getrieben wurde. Es treibt mittlerweile westlich des A74 und hat eine große, freie Wasserfläche innerhalb der sonst eher schmalen Rinne hinterlassen. So befanden wir uns zwar mitten im ehemaligen Eisschelf, doch das Eis selber war nur weit weg am Horizont auszumachen. Das änderte sich erst im Laufe des Abends, als wir uns der schmalsten Stelle des Spaltes näherten.

Etwa drei Kabel breit ist die schmale Rinne zwischen Schelfeis und A74 auf der Südostseite des Eisberges.

Durch die Wetterverschlechterung gestern Nachmittag, mit starkem Wind und Schneetreiben, sah man von dem ursprünglich geplanten Erkundungsflug durch dieses Nadelöhr ab. Auf diesem Abschnitt betrug der Abstand zwischen Schelfeis und Eisberg laut Satellitenbild teilweise nur knapp drei Kabellängen, also weniger als 500 Meter. Auch schien sich der Eisberg ein wenig zu drehen, so dass man mit einer weiteren Verengung der Rinne rechnen musste. Außerdem war nicht bekannt, ob sich weitere Teilstücke vom Schelfeis gelöst hatten und vielleicht sogar die Rinne blockieren würden. Glücklicherweise legte sich der Wind bis heute Morgen und die tiefen Wolken verzogen sich. Der erste Flug des Tages war ein Erkundungsflug bei schönstem Wetter. Dabei wurde schnell klar, dass Polarstern die Rinne gefahrlos passieren kann.

Blick zurück gen Nordosten – rechts Schelfeis, links A74.

Aus großer Höhe erkennt man weitere Risse im Schelfeis.

Heute Nachmittag taten wir das dann auch. Backbord das Brunt-Eisschelf, an Steuerbord der neue Eisberg. An einigen Stellen sahen die Kanten wie ein mit einem Tortenmesser geschnittener Kuchen aus, glatt, die einzelnen Schichten des über viele Jahre gewachsenen Eises klar erkennbar. An anderen Stellen verlief der Riss nicht so sauber, man konnte immer wieder neue Formen und Verwerfungen entdecken. Etwa auf der halben Strecke dieser schmalen Rinne machten wir wieder Station. Als erstes Ergebnis dieser Untersuchungen kann man sagen, dass sich wenig Leben unter dem Eis gehalten hat. So wenig, dass man nach den ersten Messungen sogar einen Defekt der Geräte nicht ausschloss. Doch es scheint alles seine Richtigkeit zu haben. Auch außerhalb des Wassers gab es kaum Tierwelt zu beobachten. Keine Vögel, Robben – die Welt schien nur aus Wasser und Eis zu bestehen. Kein Vergleich mit den sonstigen Beobachtungen im Weddellmeer!

Entlang des Eisberges zurück zur Polarstern – hier wird das Schiff gut durchkommen.

Die Polarstern an der Schelfeiskante.

Dass wir nicht die ersten hier waren, wurde mit einem Blick auf die elektronischen Seekarten schnell klar. Der Meeresboden auf der gesamten Strecke um A74 herum wurde schon vermessen. Es müssen also Schiffe hier gefahren sein. Die Daten stammen wohl aus dem Beginn der 80er Jahre, vielleicht war sogar Polarstern selbst schon mal in diesen Gewässern. Das Weddellmeer jedenfalls war schon unzählige Male Mittelpunkt der Expeditionen, die Halleybucht taucht häufig in den alten, mir vorliegenden Reiseplots auf. Kalbungen von Eisbergen dieser Größe sind auch gar nicht so selten. Im Falle des A74 dürfte das auch keinen direkten Zusammenhang mit dem derzeit stattfindenden Klimawandel haben. Was gerade am Brunt-Eisschelf geschieht, ist also völlig normal. Beeindruckend ist es außerdem.

An der Südseite des A74.

Nach unserer Umrundung des A74 sind die Arbeiten im Weddellmeer nun abgeschlossen. Wir machen uns jetzt auf den Weg nach 66°S auf dem Nullmeridian. Dort soll noch eine Verankerung ausgebracht werden. Wir wollen ein Wetterfenster zwischen zwei Tiefdruckgebieten nutzen, um die Arbeiten sicher durchzuführen. Die Zeit drängt, denn bei dem Wetterfenster handelt es sich nur um ein kleines Zwischenhoch. Danach folgt dann unser kurzer Zwischenstopp in Neumayer, um Wissenschaftler und Equipment abzuholen. Die COSMUS-Expedition geht also ihrem Ende zu…

CR

Schiffsradar während der Fahrt durch die Eisbergrinne – das Eis wird grün dargestellt, rot ist der abgesteckte Kurs, weiß ist das aktuelle Polarstern-Heading.

Unser Kurs um den Eisberg. Der Umweg im nördlichen Teil war notwendig, um den Helikopter und die Wissenschaftler aus dem Whiteout am Inlet an Bord zu nehmen.