MetCity

20200320 – 86° 18.660’ N 14° 49.439 E – MOSAiC Leg 3

Auf dem Eis in unserer Log-Area. Unsere Scholle wird immer kleiner, die Log-Area ist zum Glück noch nicht von größeren Rissen betroffen.

Eine reichliche Woche ist vergangen seit dem ersten Riß in unserer Scholle. Es war eine Woche mit vielen Bewegungen im Eis. Unsere Scholle besteht im Prinzip nur noch aus einer erweiterten Log-Area. Am äußersten, westlichen Rand befindet sich ROV-City, mittendrin und von den Ereignissen am geringsten betroffen gibt es noch OCEAN-City und Ballontown. MetCity und Remote-Sensing wandern auf einer eigenen Scholle am östlichen Rand der Hauptscholle hin und her und durch die ständige Bewegung hat sich inzwischen ein Ridge in dieser Scheerzone gebildet. Es ist gefährlich, dieses zu überqueren. Alles ist in ständiger Bewegung und gibt knarzende Geräusche von sich. Auch das Schiff bewegt sich ständig. Eismassen von hinten drücken es in das Lead vor dem Bug des Schiffes. Dadurch kommt es immer wieder vor, dass Ankerleinen reissen und das Schiff sich in kurzer Zeit zehn bis fünfzehn Meter bewegt. Das CTD-Hole, ein eisfrei gehaltenes Loch direkt neben der Gangway, befindet sich jetzt hinter dem Schiff und kann nicht mehr genutzt werden. Die letzten Tage waren eine Abfolge von Schadensmeldungen und fieberhaften Reaktionen auf diese. An ein normales, wissenschaftliches Arbeiten ist kaum noch zu denken, doch man versucht das beste.

Blick zur Polarstern vom Ostrand der Scholle.

Rettungsaktion für die Stromkabel. Das Lead ist schnell wieder zugefroren, die Kabel sitzen fest.

Durch die Bewegungen des Eises und des Schiffes musste immer wieder die notdürftig reparierte Stromleitung zu MetCity gekappt werden. Trotz vieler Versuche konnte keine stabile Lösung gefunden werden. MetCity wird weiterhin und wahrscheinlich dauerhaft von Generatoren am Leben erhalten. Reste der Stromleitung müssen nun geborgen werden. Auch für die Kraftstoffversorgung in MetCity muss regelmässig gesorgt werden. Heute habe ich ein Team als Baerguard nach MetCity begleitet und konnte mir ein eigenes Bild über die Situation machen. Es war nicht so einfach, doch schließlich fanden wir einen Weg von Scholle zu Scholle hüpfend. Den Schlitten, auf dem der Sprit hinüber transportiert werden sollte, konnten wir allerdings nicht mitnehmen. Es reichte nur für einen kurzen Blick nach dem Rechten. Ein Teil der Gruppe hatte dabei immer die sich neu bildenden Risse im Blick, um bei einer Verschlechterung der Lage schnellstmöglich reagieren zu können. Aber alles ging gut, gefährlich war es dennoch. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn sich einer der vielen, kleinen Risse erweitert hätte, während wir in MetCity waren. 

Die Schollen brechen, driften auseinander und dann wieder zusammen. Dabei werden riesige Eisblöcke nach oben geschoben.

MetCity im Chaos. Noch vor ein paar Tagen war hier alles eine zusammenhängende, ebene Scholle.

Den Sprit mussten wir wieder mit zum Schiff nehmen. Durch die Installation der Ölfässer als Tanks für die Generatoren haben wir zum Glück mehr Zeit für die Versorgung. Schlimmstenfalls muss eben der Helikopter hinüberfliegen und für Nachschub sorgen. Eine dauerhafte Anbindung an das Stromnetz der Polarstern ist jedenfalls kaum noch möglich. Die Bewegung der MetCity-Scholle ist dafür einfach zu unvorhersehbar. Als alles noch eine einzige, riesige Scholle war, galt der Teil, auf dem MetCity errichtet wurde, als der stabilste Teil der Scholle. Hier war das Eis am dicksten, die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs am geringsten. Doch die Natur bleibt unberechenbar, auch wenn man noch so viele Daten erhebt.

Situation nahe MetCity. Immer wieder kommt relativ warmes Wasser mit der eiskalten Luft in Berührung und es bildet sich Seerauch.

Über dieses Schollenpuzzle finden wir einen Weg nach MetCity.

So langsam gewöhnen wir uns an die veränderte Situation. Beim morgendlichen ersten Blick nach draußen analysiert man die Lage, schaut, was aktuell an welcher Stelle ist und nimmt es einfach zur Kenntnis. Die große Drift der Polarstern neigt sich dem Ende zu, das ist inzwischen allen an Bord klar. Wir werden weiter nach Süden driften, schneller als geplant und bald wird der Tag kommen, wo wir alle Geräte von der Scholle holen müssen. Aus Bremerhaven hören wir, dass eine Ablösung, die eigentlich für Anfang April geplant war, erst Wochen später realisiert werden könne. Außerdem sieht die weitere Planung vor, dass Polarstern nach Ende der Drift wieder nach Norden fährt und eine neue Forschungsscholle sucht. Das heißt für uns auszuharren auf unbestimmte Zeit. Doch die Zweifel an diesen Plänen greifen an Bord immer weiter um sich, denn auch Nachrichten über das katastrophale Ausmaß der Corona-Pandemie erreichen uns täglich. Den wissenschaftlichen Sinn der Fortsetzung von MOSAiC nach Ende der Drift kann man sicher diskutieren, die Corona-Pandemie jedoch stellt alle damit verbundenen Interessen an zweite Stelle. Viele an Bord wollen einfach nur daheim bei ihren Familien sein.

CR

MetCity – die Kabel sind schon gesichert. Strom wird mit Generatoren erzeugt. Wir schauen nur mal schnell nach dem Rechten.